Remigriert euch ins Knie! 💩

Hamburger Kammerkunstverein

Veranstaltungen mit Herz und Hirn.

302. Lunchkonzert in der Handelskammer Hamburg

Dimitri Schostakowitsch, Sonate für Viola und Klavier op. 147

Dimitri Schostakowitsch

So nahm er Abschied von der Welt: „Bin im Krankenhaus. Meine rechte Hand schreibt nur mit größter Mühe. Es war schwierig, aber ich habe die Sonate für Viola und Klavier zu Ende bringen können.“ Vier Wochen später war Dimitri Schostakowitsch tot, seine Sonate wurde im engsten Freundeskreis uraufgeführt.



Der Eintritt ist frei.


Börsensaal der Handelskammer Hamburg, Adolphsplatz 1, U Bahn Rathaus


Tagesprogramm als PDF


Dimitri Schostakowitsch,
Sonate für Viola und Klavier op. 147 (1975)

Moderato
Allegretto
Adagio


Neben Igor Strawinsky und Sergej Prokovieff gilt Dimitri Schostakowitsch als einer der wichtigsten russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Bereits seine Abschlussarbeit am Moskauer Konservatorium, die 1. Symphonie in f-Moll, verhalf dem Zwanzigjährigen zu Weltruhm. Sie wurde 1926 zunächst in Russland aufgeführt, ein Jahr später in Deutschland und Amerika. So wurde Schostakowitsch schnell zum Aushängeschild der nur vier Jahre zuvor gegründeten Sowjetunion. Weil er auch einige staatliche Auftragswerke komponierte, wurde er vom Westen allerdings bis in die späten 60er Jahre als propagandistischer Auftragskomponist verkannt.

Die freie Entwicklung des jungen Komponisten wurde durch die sowjetische Regierung bald stark eingeschränkt. Immer wieder zog Schostakowitsch Kompositionen zurück, die sonst der Zensur zum Opfer gefallen wären. Dennoch blieb er anders als viele seiner Mitstreiter während des Stalinismus in Russland. Die Zensur brachte ihn dazu, augenscheinlich alle geforderten Kriterien zu erfüllen. Aber verklausuliert drückte er aus, was er mit seiner Musik wirklich sagen wollte. So entwickelte er sich zu einem Meister des doppelten Bodens. Er arbeitete mit verdeckten Zitaten, heimlicher Ironie und schier unmerklichen Anspielungen. Eine Bläser-Fanfare aus Schostakowitschs Feder wurde beispielsweise von der Zensur als Loblied auf die Sowjetunion gerühmt, während er selbst leise sagte, es handle sich dabei um einen Trauermarsch. Diese Jahre der Unterdrückung kann man als Schostakowitschs zweite Schaffensperiode bezeichnen.

Die fast schon schelmische Art des Komponisten, mit den Freiheitsbeschränkungen des neuen Regimes umzugehen, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Musik immer Abgründe öffnet und dass Humor und Witz bei ihm eingebettet sind in tiefste seelische und emotionale Bereiche der Musik. Schostakowitschs Mitgefühl mit den Opfern des Leids, das Stalin und Hitler in die Welt gebracht hatten, ist an vielen Stellen belegt und spielt auch in seiner Musik eine zentrale Rolle.

Die dritte Schaffensperiode, in der die Zensur für Schostakowitsch kaum noch eine Rolle spielte, war von gesundheitlichen Problemen überschattet. Auch die Trauer um viele Freunde war ein wesentlicher Gegenstand seiner letzten Jahre. „Ich will niemandem mehr ein Stück widmen. Die letzten Male sind die Widmungsträger kurz darauf gestorben.“ So bekam Schostakowitsch die künstlerische Freiheit, die er als junger Komponist kennen gelernt hatte, in einer Lebensphase zurück, in der Vergänglichkeit und Rückblick für ihn die wesentlichen Lebensthemen waren.

Seine letzte musikalische Aussage macht Schostakowitsch in der heute gespielten Bratschensonate op. 147. Entgegen seinem Vorsatz, keine Widmungen mehr auszusprechen, widmete er diese Sonate dem damaligen Bratschisten des Beethoven-Quartetts, Fjodor Druschinin, mit dem er sich über Bratschentechniken austauschte. Am 25. September 1975, wenige Wochen nach Schostakowitschs Tod, spielte Druschinin die Sonate zusammen mit dem Pianisten Michail Muntjan zum ersten Mal im Freundeskreis - Schostakowitsch wäre an diesem Tag 69 Jahre alt geworden.

Die ersten beiden Sonatensätze stellte Schostakowitsch am 4. Juli 1975 fertig, danach musste er mit Erstickungsanfällen in eine Klinik eingeliefert werden. Von diesen Qualen halbwegs erholt, komponierte Schostakowitsch den letzten Satz in nur zwei Tagen. „Das ist ein Adagio zur Erinnerung an Beethoven. Aber das soll Sie nicht behindern. Die Musik ist hell und klar“, sagte er zu Druschinin über dieses Finale. Schostakowitsch meditiert in diesem Satz über die Grundelemente der Mondscheinsonate. Die kurze Anspielung auf den Beginn seiner 14. Symphonie „Lieder und Tänze des Todes“ im Klavier ist unauffällig, aber für den Inhalt des Satzes von größter Bedeutung. Denn Schostakowitsch macht in seinem letzten Werk das Zitieren und Klausulieren, das er als junger Mann als Tarnung einsetzen musste, zum Medium seines musikalischen Ausdrucks. Als Schelm nutzte er das Zitieren, um zu überleben, als Sterbender nutzte er es zum Abschiednehmen.

Franck-Thomas Link


Mehr zur Reihe Lunchkonzerte in der Handelskammer Hamburg.