313. Lunchkonzert in der Handelskammer Hamburg
Fantasien und Fantasiestücke
Werke von Telemann, Mozart, Nielsen und Schumann
Ursprünglich bezeichnete der Begriff „Fantasie“ im Barock eine Improvisation über ein Thema, beispielsweise einen Choral oder eine Fuge. Partituren frühbarocker Fantasien sind mehr als Improvisationsgrundlage einzuordnen, denn in Texten wurden oft nur die melodischen Hauptnoten ausgeschrieben, die dann vom Interpreten improvisierend verziert wurden. Daraus entwickelte sich die Gattung der auskomponierten Fantasie. Spätestens seit J.S. Bach („Chromatische Fantasie und Fuge“) und seinen Söhnen war die Fantasie als eine eigenständige Kompositionsform etabliert, die formal frei war und auf strenge Regeln verzichtete. Grundlage war vor allem ein meditativer Aspekt. Fantasien sind in der Regel eher nach innen gewandt und eigentlich nie vordergründig oder gar lustig. Auch bei Mozart spielte die Nicht-Form „Fantasie“ eine große Rolle, nicht nur wegen seiner berühmten d-moll-Fantasie, die im heutigen Konzert erklingt. Er hat noch drei weitere Fantasien für Klavier geschreiben. Übrigens: Beethoven bezeichnete seine beiden Klaviersonaten op. 27 jeweils mit „Sonata quasi una fantasia“.
In der Romantik entstand zum Thema Fantasie noch ein neuer Aspekt: Das „Fantasiestück“. Zwar schrieben Schumann und Brahms weiterhin Fantasien für Klavier. Diese hatten aber ihren improvisierenden Charakter weitgehend verloren. Ihren Fantasien liegt statt dessen meist eine komplizierte kompositorische Architektur zugrunde. Es ist eine wunderbar romantische Wahrheit, dass Freiheit schöne neue Formen entstehen lässt. Das Fantasiestück wird je nach Zusammenhang und Komponist auch als „Charakterstück“ bzw. „Lyrisches Stück“ bezeichnet. Es handelt sich formal um eine Synthese von Lied und Fantasie. Meistens weisen Fantasiestücke einfache Liedformen auf und sind kurze Instrumentalstücke. Zwar entstand das „Fantasiestück“ aus der Tradition der „Fantasie“ heraus, allerdings wich der meditative Aspekt zugunsten des romantischen Ausdrucks an vielen prominenten Stellen.
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Simon Strasser, Oboe
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Franck-Thomas Link, Klavier
Der Eintritt ist frei.
Börsensaal der Handelskammer Hamburg, Adolphsplatz 1, U Bahn Rathaus
Georg Philipp Telemann,
Fantasie Nr. 3 für Flöte ohne Bass h-moll TWV 40:4
Largo-Vivace-Largo-Vivace
Allegro
Wolfgang Amadeus Mozart,
Fantasie d-moll K 397/385g
Andante
Allegretto
Carl Nielsen,
Zwei Fantasiestücke für Oboe und Klavier op. 2
Romanze
Humoresque
Robert Schumann,
Drei Fantasiestücke op. 73 für Oboe d'amore
Zart und mit Ausdruck
Lebhaft, leicht
Rasch und mit Feuer
Georg Philipp Telemann hat sich mehr als die meisten seiner Zeitgenossen intensiv mit der Kammermusik ohne Bass beschäftigt. Zu seinem Kompositionen ohne Bass zählen seine 12 Solo-Fantasien, die für Flöte oder Violine konzipiert sind, aber ebenso reizvoll auf der Oboe klingen. Ein wesentliches Merkmal dieser Musik ist es, dass ohne das stützende Fundament der tiefen Töne automatisch ein schwebender Charakter entsteht. Diese Eigenschaft begünstigt den improvisatorischen oder meditativen Habitus der Gattung „Fantasie“, der auch den telemannschen Fantasien innewohnt.
Mozarts d-moll Fantasie K 397/385g gehört zu seinen berühmtesten Klavierstücken. Sie ist zweiteilig. Der erste Teil ist ist eine Improvisation über ein trauriges Thema in d-moll, das nach einer mysteriösen Introduktion vorgestellt wird. Der zweite Teil wirkt im hellen D-Dur wie ein tröstliches Gegengewicht zur düsteren Welt der ersten Hälfte des Werkes. In beiden Teilen sind die auskomponierten Kadenzpassagen, die die gesamte Klaviatur beanspruchen, besonders markant.
Mozarts d-moll-Fantasie ist die kleinste Oper, die ich kenne und eines der tröstlichsten Klavierstücke, die je auf meinem Pult gelegen haben. Obwohl sie musikalisch und technisch sehr hohe Anforderungen an den Interpreten stellt, bekommt fast jeder Klavierschüler diese Fantasie irgendwann einmal als Hausaufgabe. Vielleicht ist das auch ein Grund für die große Beliebtheit dieser Fantasie.
Franck-Thomas Link
Die „Zwei Fantasiestücke für Oboe und Klavier op. 2“ des dänischen Romantikers Carl Nielsen entstanden 1889, wurden aber erst zwei Jahre später nach einigen Revisionen in der Klavierpartie veröffentlicht. Nielsen widmete sie dem damaligen Solo-Oboisten der Dänisch-Königlichen Kapelle Olivio Krause, der mit dem Pianisten und Komponisten Victor Bendix die Uraufführung in einer Soirée der Königlichen Kapelle am 16. März 1891 spielte. Das erste Fantasiestück „Romanze“ wurde in Deutschland u. a. dadurch berühmt, dass der Geiger Hans Sit dieses Stück in seinen Konzerten immer wiederauf der Violine statt auf der Oboe spielte.
Carl Nielsen beschrieb seine Fantasiestücke op. 2 einmal wie folgt: „Die zwei Oboenstücke sind ein sehr frühes Werk. Das erste - langsame - Stück gibt der Oboe die Möglichkeit, ihre Noten so schön auszusingen, wie das Instrument es nur kann. Das zweite ist humorvoller, schelmischer, mit einem Unterton von nordischer Natur und Waldgemurmel im Mondschein.“
Franck-Thomas Link
Die Phantasiestücke op. 73 von Robert Schumann entstanden 1849. Sie sind ursprünglich für Klarinette in A geschrieben, sind aber so konzipiert, dass sie auch von Violoncello, Violine oder Oboe d'amore gespielt werden können. Bereits im Jahr zuvor hatte sich Schumann mit kleinteiligen Formen beschäftigt, in erster Linie in seinem „Album für die Jugend“, das heute aus dem Klavierunterricht nicht mehr wegzudenken ist. Daraus entstanden vier weitere Kammermusikwerke für ein Blasinstrument (alternativ für ein Streichinstrument) und Klavier, die weniger für den großen Konzertsaal als für die damals sehr populäre Hausmusik angelegt waren. Das erste Werk in dieser Reihe sind die Phantasiestücke op. 73. Sie bilden einen dreisätzigen Zyklus von Charakterstücken. Während das erste Stück eine liedhafte und schlichte Einleitung bildet, schlägt das zweite einen lebhafteren Ton an, behält aber die Sanglichkeit des ersten Stückes bei. Im dritten Stück verdichtet sich der Ausdruck zu einem leidenschaftlichen Finalsatz.
Franck-Thomas Link
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