331. Lunchkonzert in der Handelskammer Hamburg
Lieder von Wolfgang Rihm und Franz Schubert
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Ulrich Bildstein, Bariton
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Franck-Thomas Link, Klavier
Der Eintritt ist frei.
Börsensaal der Handelskammer Hamburg, Adolphsplatz 1, U Bahn Rathaus
Wolfgang Rihm,
Hölderlin-Fragmente (1976/1977)
Fragment 57
Fragment 92
An meine Schwester (Fragment 19)
Fragment 14
Fragment 27
Empedokles auf dem Ätna (Fragment 17)
Fragment 38
Gestalt und Geist (Fragment 22)
Lied des Schweden (Fragment 4)
Franz Schubert,
5 Lieder
Lachen und Weinen, op. 59 Nr. 4, Friedrich Rückert
Der Tod und das Mädchen, op. 7 Nr. 3, Matthias Claudius
Litanei, Nachlass Lfg. 10, Joh. Georg Jacobi
Ganymed, op. 19 Nr. 3, Johann Wolfgang von Goethe
Die Taubenpost, D 965a , J. G. Seidl
Wolfgang Rihm (* 1952) ist einer der wichtigsten deutschsprachigen Komponisten für Neue Musik unserer Tage. Seine „Hölderlin-Fragmente“ schrieb er mit 24 Jahren. Er knüpfte hier an eine Tradition an, die sich von den späten Instrumentalwerken Beethovens hin zu Schönberg, Berg und Webern spannt und das subjektive Ausdrucksbedürfnis in den Mittelpunkt stellt.
„Es ist ein ausgebrannter oder ungeborener Liederzyklus. Alle extremen Kontraste sind ein notwendiger Teil einer zerstörten oder ungeformten Sprache,“ so Rihm über seine Hölderlin-Fragmente. Rihm scheint hier gleichzeitig über seine Musik und über die Textvorlage Friedrich Hölderlins zu sprechen. Die von ihm vertonten Fragmente Höderlins entstanden in den Jahren 1801-1806, als Hölderlin Anfang 30 war, in einer Zeit, in der er wegen „Wahnsinns“, sehr wahrscheinlich wegen Schizophrenie, zwangsweise in einer Klinik behandelt wurde.
In den kurzen Textfetzen scheinen zentrale Motive aus Hölderlins gedanklichem Universum auf. Sie kreisen scheinbar unverbunden um Themen wie Geborgenheit und Verlassenheit, Einschluss und Ausschluss, Schaffenskraft und Verzweiflung. Es ist, als ob ein erlöschender Geist mit letzter Kraft versucht, die wichtigsten Erkenntnisse seines Lebens der Nachwelt mitzuteilen.
Rihm komponiert dazu äußerst differenzierte Klänge, die dem Sinn einzelner Worte oder auch ganzer Textpassagen nachzulauschen scheinen. Nirgendwo nimmt Rihm jedoch Erklärungen vor, er erhält sich eines Kommentares, stellt seine Musik sattdessen ganz in den Dienst der Lyrik Hölderlins, als sei er der Anwalt Hölderlins, der das Anliegen Hölderlins mit musikalischen Mitteln den Zuhöreren verständlich zu machen versucht.
Brüche, Abgerissens, Stille – Rihm nimmt das Fragmentarische seiner literarischen Vorlage ernst und macht es hörbar. Im Zerbrochenen liegt hier die Stärke. „There is a crack, a crack in everything, that's how the light gets in.“ - Leonard Cohen, Anthem
Ulrich Bildstein
Franz Schuberts Lieder tragen eine Sprengkraft in sich, die seine Zeitgenossen oft zutiefst schockiert hat, die selbst heute noch, obwohl sich Harmonik und Ausdrucksmittel der Musik unendlich erweitert haben, unmittelbar spürbar ist.
Scheinbar harmlos vereinen sich in „Lachen und Weinen“ extreme Gefühle, die in der Liebe erfahrbar sind. Dahinter ist eine die Bitterkeit, die aus permanent anwesenden, unversöhnlichen Widersprüchen resultiert, zu spüren, die sich in einem sarkastischen Tonfall entlädt.
Panischer Schrecken und die Tröstungen des Todes erklingen in „Der Tod und das Mädchen“, dessen Motivik auch Schuberts gleichnamiges Streichquartett D 531 prägt, das zum Schönsten zählt, was Schubert je geschrieben hat.
In religiösem Ton tröstet der ruhige Fluss von „Litanei“.
Ganymed ist in der griechischen Mythologie ein Sohn des trojanischen Königs Tros, Bruder des Assarakos und des Ilos, und der „Schönste aller Sterblichen“. Als Hirtenknabe wird er von Zeus auf den Olymp entführt, damit er dort Mundschenk für die Götter sei und ewig dort lebe. Die Ganymed-Sage wurde in der Antike unterschiedlich dargestellt: Die älteste Form war wohl der sumerischen Etana-Mythos. Dieser Mythos wird auch auf der Tafel 7 des Gilgamesch-Epos dargestellt. Dies spricht für das extrem hohe Alter des Mythos. Andere Versionen lassen sich in der Ilias von Homer, aber auch bei Vergil und Ovid finden.
Trauer, verbunden mit köstlichstem Trost, werden Person in der Brieftaube in Schuberts „Taubenpost“. Die endlose Emsigkeit des nimmermüden Tierchens, die in der Klavierpartie ununterbrochen anwesend ist, erinnert an das Bächlein aus der „Schönen Müllerin“ oder an den Finalsatz aus Schuberts Klaviersonate D 960.
Ulrich Bildstein
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