Mozart!
Feierabendkonzert im Oberhafen
Wir servieren ein Meisterwerk, das 1785 den Verleger Hoffmeister zur Verzweiflung trieb. Mozart hatte die Frechheit besessen, ein Klavierquartett zu schreiben, das die Wiener Musikliebhaber schlicht überforderte. Das Publikum gähnte „vor Langerweile“, und Hoffmeister sah sich gezwungen, die geplante Serie nach dem ersten Werk abzubrechen. Zu schwierig! Zu modern! Zu Mozart!
Heute gehört dieses einst „unspielbare“ Werk – Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierquartett g-moll KV 478 – zum Schönsten, was in unseren Konzertsälen erklingt. Der trotzige erste Satz, das innige Andante, das übermütige Finale – was damals als zu gewagt galt, lässt unser Herz hüpfen.
Manchmal braucht Genialität ein paar Generationen Vorlauf. Mozart at its best – damals Avantgarde, heute Hochgenuss.
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Juditha Haeberlin, Violine
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Miriam Götting, Viola
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Franck-Thomas Link, Klavier
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Lea Tessman, Violoncello
Tickets: 18 € im Online-Vorverkauf, 23 € an der Abendkasse, Mitglieder: 9 €
Wir freuen uns, Ensemble in Residence in der Halle 424 zu sein.
Halle 424, Stockmeyerstraße 43, Tor 24, 20457 Hamburg
Wolfgang Amadeus Mozart,
Fantasie c-moll KV 475
Adagio
Allegro
Andantino
Più Allegro
Primo tempo
Wolfgang Amadeus Mozart,
Duo G-Dur KV 423
Allegro
Adagio
Rondeau. Allegro
Wolfgang Amadeus Mozart,
Klavierquartett g-moll KV 478
Allegro
Andante
Rondo. Allegro moderato
Mozarts Fantasie c-moll KV 475, entstanden im Mai 1785 und zusammen mit der Sonate KV 457 veröffentlicht, gehört zu seinen kühnsten Klavierwerken. Gewidmet wurde sie Therese von Trattner, einer seiner fortgeschrittenen Klavierschülerinnen. Obwohl der Titel eine freie, improvisatorische Form suggeriert, ist das Werk sorgfältig gebaut: Es entfaltet sich in mehreren kontrastierenden Abschnitten, deren wechselnde Tempi und Tonarten einen inneren dramatischen Bogen spannen. Der Beginn im Adagio zeichnet eine düstere, suchende Atmosphäre; chromatische Linien, häufige Vorzeichen und ein absteigender Bass schaffen ein Gefühl instabiler Harmonie. Auch der kurze Lichtschein einer Modulation nach Dur wirkt eher fragil als tröstlich. Das anschließende Allegro bricht eruptiv hervor, treibt durch entfernte Tonarten und verschärft die innere Unruhe. Erst das Andantino in B-Dur bietet einen vorübergehenden Ruhepol: eine schlichte, lyrische Geste, die den expressiven Kern des Werks jedoch nicht aufhellen kann. Im folgenden Più Allegro verdichtet Mozart die Harmonik erneut, die Musik drängt vorwärts, zersplittert sich beinahe und verliert sich in raschen Modulationen. Schließlich kehrt das Anfangsmaterial wieder – nicht als Triumph, sondern als Wiederaufnahme einer unerlösten Frage. Die Rückkehr nach c-moll wirkt wie ein ernüchterter Blick auf die Ausgangslage: keine Befreiung, aber eine eindringliche Klarheit.
Charakteristisch für die Fantasie ist die Spannung zwischen improvisatorischer Oberfläche und tief organisierter Struktur. Mozart arbeitet mit motivischen Keimzellen, darunter einer chromatisch fallenden Linie und lydisch aufgerauten Intervallen, die das Werk wie unterschwellige Signale durchziehen. Harmonik und Form greifen ineinander, sodass selbst impulsive Gesten Teil einer übergeordneten Architektur bleiben. In dieser Verbindung von dramatischer Freiheit und struktureller Präzision liegt das modern wirkende Moment des Stücks; manche Analysen sprechen von einer Art „Zukunftsmusik“, weil Mozart hier Ausdrucks- und Harmonieformen erprobt, die weit über das gängige Klangidiom der 1780er Jahre hinausreichen. Die Fantasie KV 475 gilt daher nicht nur als eine der dunkelsten, sondern auch als eine der vorausweisendsten Kompositionen Mozarts – ein Werk, dessen emotionale Dichte und formale Kühnheit bereits die romantische Klaviermusik vorwegnehmen.
Wolfgang Amadeus Mozarts Duo G-Dur KV 423 entstand 1783 bei einem Besuch in Salzburg. Michael Haydn, ein enger Freund Mozarts, hatte vom Fürsterzbischof Colloredo den Auftrag erhalten, sechs Duos für Violine und Viola zu schreiben, doch nach vier Duos versagte seine Inspiration – vermutlich war er erschöpft und trank zu viel, das Werk musste aber termingerecht fertig werden. Mozart sprang ein, komponierte die beiden fehlenden Duos selbst und überließ sie Haydn zur Abgabe. Haydn soll diesen großzügigen Freundedienst sein Leben dankbar erinnert haben.
Mozart nutzte die Gelegenheit jedoch nicht nur zur Hilfe, sondern auch zur Rache: Er kannte Colloredos geigerische Grenzen genau und fügte Passagen ein, die den Fürsten wahrscheinlich spieltechnisch überforderten - für Mozart eine willkommene Boshaftigkeit gegenüber seinem ungeliebten Ex-Dienstherrn.
Das Duo selbst ist ein Paradebeispiel für kammermusikalische Finesse und virtuoses Zusammenspiel. Der erste Satz, ein Allegro, entfaltet einen lebhaften Dialog zwischen Violine und Viola, mit Läufen, Vorschlägen, Doppelgriffen und Lagenwechseln. Im seltenen Adagio der Mitte entwickeln beide Stimmen kantabel und ausdrucksstark eine reich verzierte Melodik, deren Ornamente den musikalischen Ausdruck beleben, statt nur zu schmücken. Das abschließende Rondeau verbindet Tanzrhythmus, virtuose Triolen, Kanons und überraschende harmonische Wendungen zu einem effektvollen, heiteren Finale.
Das Duo G-Dur KV 423 ist somit nicht nur technisch brillant und kammermusikalisch ausgewogen, sondern trägt zugleich Mozarts unterschwellige Rache in sich: ein Werk, das Colloredo in Atem hielt, ohne dass dieser den wahren Urheber je vermutete – und das gleichzeitig die Loyalität und Freundschaft zu Michael Haydn beweist.
Wien, 1785. Wolfgang Amadeus Mozart steckt mitten in seiner erfolgreichsten Phase – und schreibt ein Werk, das zum kommerziellen Desaster wird. Der Verleger Franz Anton Hoffmeister hatte sich eine Serie von Klavierquartetten für Liebhaber erhofft, für jene Amateure, die sich teures Notenmaterial leisten konnten. Was Mozart im Oktober 1785 abliefert, sprengt jedoch jeden Rahmen des Erwartbaren.
Das Klavierquartett g-moll KV 478 beginnt mit einem Paukenschlag – einem Unisono-Ausbruch aller vier Instrumente, der mehr an eine Sinfonie als an Kammermusik erinnert. Mozart wählt g-moll, jene Tonart, die er für seine dunkelsten Gedanken reserviert: Nur zwei seiner 41 Sinfonien stehen in Moll, beide in g-moll. Hier entsteht kein harmloses Salon-Stück, sondern ein Drama in drei Akten.
Die eigentliche Herausforderung liegt in der Besetzung selbst: Wie bringt man ein Klavier mit drei Streichinstrumenten ins Gleichgewicht? Mozart löst dies radikal – er macht alle vier zu gleichberechtigten Solisten. Die Violine übernimmt mal die Melodieführung, mal das Klavier, manchmal führt sogar die Viola das musikalische Geschehen an. Diese ständigen Rollenwechsel, gepaart mit kontrapunktischer Verwebung, erfordern von allen Beteiligten höchste Aufmerksamkeit und technische Brillanz.
Der erste Satz (Allegro) trägt das markante Eröffnungsmotiv durch die gesamte Sonatenform. Statt weiträumiger Modulationen intensiviert Mozart das Drama durch die beharrliche Rückkehr zur Grundtonart – er bohrt sich tiefer statt auszuschweifen. Zeitgenossen empfanden dies als einen von Mozarts komplexesten und leidenschaftlichsten ersten Sätzen.
Das Andante in B-Dur bietet lyrischen Kontrast mit sanglichen Melodien und zarter Chromatik. Mozart schenkt hier jeder Stimme solistische Momente – selbst das Violoncello darf singen.
Das Finale überrascht: Entgegen der üblichen Praxis bei Moll-Werken etabliert Mozart sofort strahlendes G-Dur. Das ausgedehnte Rondo präsentiert melodischen Reichtum von fast opernhafter Qualität. Nur eine zentrale Episode erinnert an die Schatten des ersten Satzes, bevor die Heiterkeit endgültig siegt.
Hoffmeister erkennt schnell: Dieses Werk lässt sich nicht verkaufen. Zu schwierig für Amateure, zu ungewöhnlich für den Geschmack der Zeit. Ein zeitgenössischer Kritiker schrieb 1788, bei Amateuraufführungen habe das Publikum „vor Langerweile über dem unverständlichen Tintamarre (Lärm/Getöse)“ gegähnt. Die geplante Serie endet nach dem ersten Quartett.
Mozart schreibt trotzdem 1786 ein zweites Klavierquartett (KV 493 in Es-Dur), diesmal für einen anderen Verleger. Das g-moll-Quartett aber bleibt sein radikalster Vorstoß in diese Gattung: ein Werk, das die Grenzen der Kammermusik neu definiert. Im 19. Jahrhundert wendete sich das Blatt – Robert Schumann, Johannes Brahms und Antonín Dvorák komponierten alle Klavierquartette nach Mozarts Vorbild und machten die Gattung salonfähig. Was damals als unverkäuflich galt, gehört heute zu den meistgespielten Werken der Klavierkammermusik.
kammerkunst.de/1263/